Die Mär vom 
                            „gestohlenen“ Liedgut 
                        
                        
                            
 
                        
                        
                            Ein Beitrag für den e. V. 
                            Musik von unten von Werner Hinze 
                        
                        
                            
 
                        
                        
                            Als mit den sogenannten 68ern 
                            eine intensive Gesellschaftskritik gegen die 
                            verkrusteten Verhältnisse in Familie und 
                            Universität („Muff von tausend 
                            Jahren“) einsetzte, begann auch die dringend 
                            notwendige Aufarbeitung der nationalsozialistischen 
                            Terrorherrschaft (einige, wenige Ansätze in 
                            der Zeit davor sollen allerdings nicht verschwiegen 
                            werden). Aber, es kam wie es kommen musste, die 
                            allzu verbreitete Schwarz-Weiß-Sicht, die 
                            eben nicht nur konservativen oder rechten Kreisen 
                            vorbehalten war, führte einen Großteil 
                            der Kritiker in die Arme linker Gruppierungen 
                            („Zwischentöne sind nur Krampf im 
                            Klassenkampf“, Degenhardt). 
                        
                        
                            
 
                        
                        
                            Damals wiederholte sich auch 
                            der Kult mit dem Begriff „Arbeiter“. 
                            Wiederholen deshalb, weil die ersten, rein 
                            propagandistischen Ansätze zur besonderen 
                            Ausprägung des Begriffs von der KPD der 
                            Weimarer Zeit stammen. Über die DDR (SED) 
                            schwappte das mit der 68er Bewegung in den Westen 
                            über. Zusammen mit der 
                            Schwarz-Weiß-Denke (wenn Nazis böse, 
                            müssen Kommunisten „gut“ sein) 
                            ergab das die kuriose Situation, das sich eine 
                            Vielzahl an kommunistischen Gruppierungen bildete 
                            (DKP, KPD AO, KPD ML, KB, KB-West usw.). Jede 
                            Gruppe hatte ihren Politstar unter den mehr oder 
                            weniger kommunistisch geführten Staaten 
                            (Moskau, China, Albanien usw.) Die Folge war eine 
                            häufig zu kritiklose Übernahme von 
                            Argumenten, ja ganzer Teile der 
                            Geschichtsbetrachtung der SED und ihrer 
                            Vorläufer.  
                        
                        
                            
 
                        
                        
                            Allen gemein war aber der Kult 
                            um den „Arbeiter“. In der 
                            Bundesrepublik führte das dazu, dass sich 
                            nicht wenige junge Leute das Flair eines Arbeiters 
                            gaben. Die meisten taten das nur, indem sie 
                            entsprechende Kleidung trugen (gut sichtbar war das 
                            bei Hannes Wader), andere wiederum gingen so weit, 
                            dass sie ihr Studium (anfänglich waren es 
                            besonders viele Studenten unter den 68ern) aufgaben 
                            und sich „in die Fabrik“ begaben, um 
                            dort zu agitieren. Ich gestehe, dass ich 
                            bezüglich der Kleidung diesen Trend ein wenig 
                            mitgegangen war. Allerdings, ich kannte die 
                            Situation von Arbeitern, denn ich hatte 1965 nach 
                            dem Besuch der Volksschule (so hieß das 
                            damals) eine Lehre als Autoschlosser begonnen, nur 
                            ich tat alles, um dort wieder raus zu kommen. Schon 
                            allein deswegen, da mir die Themen Autos, Frauen 
                            und Fußball irgendwie zu wenig waren.  
                        
                        
                            
 
                        
                        
                            In der Ära der Post-68er 
                            bestimmten dann diese Gruppierungen mit ihren 
                            Themen weite Kreise der mehr oder weniger links 
                            stehenden Bevölkerung bis hin zu weiten 
                            Kreisen der eher liberalen bürgerlichen Mitte. 
                            Das war in fast alle Bereichen der Gesellschaft zu 
                            spüren, besonders aber dort, wo im Zuge der 
                            Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus 
                            Geschichte aufgearbeitet wurde, wie z. B. in den 
                            zunehmend eingerichteten 
                            „Geschichtswerkstätten“. Dort hat 
                            es durchaus wichtige gesellschaftspolitische 
                            Aufarbeitung gegeben, allerdings mit dem oben 
                            erwähnten Nachteil. Ich selber war des 
                            Öfteren in den Hamburger 
                            Geschichtswerkstätten jener Tage von 
                            Winterhude, Barmbek und Eimsbüttel anwesend. 
                            Alle diese Einrichtungen hatten mindestens einen 
                            männlichen Zeitzeugen, der in der Weimarer 
                            Zeit in der KPD aktiv war, der sogenannte 
                            „Vorzeigekommunist“. Es boten sich dort 
                            teilweise groteske Szenen, wie die sonst so 
                            kritischen Jungen wie Mädchen oder Frauen wie 
                            Männer diesem Menschen alles, was er sagte, 
                            gläubig abnahmen, ohne auch nur die eine oder 
                            andere kritische Frage zu stellen, selbst dann 
                            nicht, wenn es offensichtlich war, dass das 
                            Vorgebrachte überhaupt nicht stimmen konnte. 
                            In dieser Zeit sind viele Absurditäten in so 
                            manches, durchaus als wissenschaftliche Arbeit zu 
                            bezeichnende Werk eingeflossen. (Es müsste 
                            also so einiges heute noch einmal einer genauen 
                            Prüfung unterzogen werden!)  
                        
                        
                            
 
                        
                        
                            Aber, diese 
                            „Einstellung“ haben viele bis heute 
                            anscheinend nicht überwunden und somit 
                            versperren sie den Weg (also diejenigen in der 
                            Wissenschaft) sinnvolle neue Erkenntnisse zu 
                            erlangen. Erkenntnisse, die uns heute vielleicht 
                            helfen könnten einige Phänomene, gerade 
                            auf dem Gebiet des Rechtsextremismus, besser zu 
                            verstehen und somit auch besser dagegen arbeiten 
                            könnten. 
                        
                        
                            
 
                        
                        
                            Erschreckend viele begannen, 
                            auch in der Wissenschaft die Aufarbeitung als 
                            parteipolitische Arbeit anzusehen und 
                            argumentierten fast ausschließlich im 
                            kommunistischen Sinne.  
                        
                        
                            
 
                        
                        
                            Interessant ist auch, dass 
                            bestimmte Jahre aus der Zeit des Bestehens der 
                            Weimarer Republik schwerpunktmäßig 
                            behandelt  wurden. So widmete man sich grob 
                            gesagt besonders den Anfangs- und Endjahren. In 
                            Hamburg hieß z. B. eine umfangreiche 
                            Ausstellung „Vorwärts – und nicht 
                            vergessen. Arbeiterkultur in Hamburg um 
                            1930“. Diese Phasen, zum Beginn und zum Ende 
                            der ersten deutschen Republik schienen wohl besser 
                            zu beurteilen zu sein. Was vielfach fehlte, waren 
                            die mittleren Jahre, die von kommunistischer Seite 
                            als „relative Stabilisierung des 
                            Kapitalismus“ und von anderen als die 
                            „Goldenen Zwanziger“ bezeichnet wurden. 
                            Was in der Regel völlig unter den Tisch fiel, 
                            war z. B. die kommunistische Agitation durch den 
                            Roten Frontkämpferbund, der ja – wie 
                            mehr oder weniger bekannt –  1929 
                            verboten wurde. Dazu später mehr, erst einmal 
                            zurück zu den Post 68ern.  
                        
                        
                            
 
                        
                        
                            In dieser Zeit habe ich nicht 
                            nur erlebt, wie mancher Zeitzeuge behauptete, 
                            „niemand hat jemals die Rote Front 
                            verlassen“ (Eimsbüttel), sondern auch, 
                            wie das Klischee vom „gestohlenen Lied“ 
                            in die Runde geworfen wurde (alle o.g. 
                            Geschichtswerkstätten). Bei einigen war 
                            tatsächlich zu spüren, dass es sie 
                            innerlich betroffen gemacht hatte, miterleben zu 
                            müssen, wie Nazis eines „ihrer“ 
                            Lieder sangen. Ein Erlebnis, das man als historisch 
                            arbeitender Wissenschaftler natürlich nicht 
                            nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch akzeptieren 
                            und würdigen muss. Anders verhält es sich 
                            aber bei Leuten, die nachträglich versuchen, 
                            eine politische Gruppierung oder Partei besser 
                            dastehen lassen zu wollen: „Die gute KPD 
                            wurde bestohlen“. Das muss ich nicht 
                            akzeptieren oder gar würdigen. Das muss ich, 
                            zumindest in dem genannten Fall der Lieder, als das 
                            bezeichnen, was es ist: Unfug!  
                        
                        
                            
 
                        
                        
                            
 
                        
                        
                            Die Behauptung vom 
                            „gestohlenen“ Liedgut.  
                        
                        
                            Gemeint waren hier Lieder der 
                            Nationalsozialisten, die vermutlich (sicher ist das 
                            keineswegs) auf Vorlagen von Liedern der 
                            Kommunisten zustande gekommen, also von denen 
                            „angeeignet“ worden seien – 
                            gemeint waren also Liedadaptionen. Einer dieser 
                            Vertreter soll hier kurz erwähnt werden, 
                            Professor Dithmar. Er fiel damit bereits 1993 auf, 
                            als er ein Liederbuch zum Thema 
                            „Arbeiterlieder“ herausgab, in dem im 
                            Wesentlichen die unterschiedlichen Arbeiten und 
                            Zusammenfassungen von Inge Lammel (damals Leiterin 
                            des Arbeiterliedarchivs) wiedergegeben wurden 
                            – Kritik dazu: Fehlanzeige. Gelegentlich kam 
                            auch Wolfgang Steinitz zur Sprache. 1998 konnte er 
                            einen kurzen Aufsatz zum Thema „Das 
                            ‚gestohlene’ Lied. Adaptionen vom 
                            Liedgut der Arbeiterbewegung in NS-Liedern“ 
                            im Buch von Niedhart und Broderick, „Lieder 
                            in Politik und Alltag des 
                            Nationalsozialismus“ platzieren. 2001 
                            züchtete er sich einen Lehrling zum gleichen 
                            Thema an der FU Berlin heran, der seine Meinungen 
                            wiederholte und dafür die Note „sehr 
                            gut“ erhielt.  
                        
                        
                            
 
                        
                        
                            Da im Bereich der Volksmusik 
                            das Verändern des Textes in jeglicher Form das 
                            Normale war/ist, haben wir uns gefragt: Was steckt 
                            dahinter? Was will uns der Autor sagen? Dass die 
                            Nazis menschenverachtend, rassistisch und 
                            antisemitisch waren (sind) und enormes Unheil 
                            über die Welt gebracht haben? Das wussten doch 
                            wir und alle die, die es wissen wollten, schon 
                            lange.  
                        
                        
                            
 
                        
                        
                            Er beginnt seinen Aufsatz mit 
                            einem Zitat von 1936 aus der in Moskau erschienenen 
                            Publikation „Das Wort“, allerdings ohne 
                            zu erklären, dass es sich um die 
                            Exilzeitschrift handelt, hinter der eine Gruppe 
                            überwiegend kommunistischer Schriftsteller 
                            standen, aber auch Heinrich und Klaus Mann 
                            gehörten zu den Mitarbeitern (natürlich 
                            erwähnte er auch nicht, dass „Das 
                            Wort“ 1968 in der DDR eine Neuauflage fand). 
                            Kurzgefasst wird dort gesagt, dass die Nazis vieles 
                            bis alles geklaut hätten und somit auch das 
                            Lied. Bei der allgemeinen Behauptung können 
                            wir schwerlich widersprechen und wollen das auch 
                            nicht, doch beim Lied verhält es sich schon 
                            deutlich anders. Dahinter