Deutsche Arbeiter-Dichtung Bd. 2. Jakob Audorf (3)
Wir erinnern uns, daß die konservative
Gegnerschaft dieses Lied, das lediglich die politische Aufklärung
feiert und eine schmachvolle Verleumdung ironisch zurückweist, als
schlagenden Beleg für die Mord- und Brandgier der deutschen
Sozialdemokraten angeführt hat: spottet ihrer selbst und
weiß nicht wie! Je pumper dige Lüge ist, je verruchter die
Anschuldigung klingt, desto lieber wird sie eben geglaubt, galt es doch
der bestgehassten politischen Partei etwas auszuwischen! Da sind alle
Mittel recht!
Andere Lieder Audorf’s sind den politischen
oder literarischen Helden der Demokratie gewidmet; so besang er Ludwig
Börne, Heinrich Heine, Robert Blum; auch dem Fortschrittsmanne
Cellarius widmete er ein Lied. Natürlich fehlen auch Absagelieder
an Feinde nicht, so „Das stumme Königreich“ (Herrn von
Stumm, dem „Arbeiterfreund,“ ins Stammbuch), „Im
Sachsenwald“ u. A. Die zahlreichen Gelegenheits-Gedichte für
Arbeiter- und Parteifest erheben sich weit über die
Durchschnittswaare dieser Gattung, und auch sie würden selbst dne
Gegnern der Audorf’schen politischen Richtung wenigstens das Eine
zeigen, daß hier offenbar ein echtes, wahres und edles
Gefühl zu Grunde liegt, das sich auch in eine ansprechende
künstlerische Form zu kleiden versteht.
Von audorf’s Leibesliedern ist dasselbe zu
sagen, und ebenso weiß er Natur und Welt, wie er sie auf seinen
Wanderfahrten sah, geschmackvoll abzumalen, denn er tritt Allem
führlend, warm und wahr empfindend gegenüber. Vom
Ehrenbreitenstein auf Koblenz blickend, schreibt dieser Proletarier:
Mein Herz ergreift ein seltsam süßes
Bangen,
Des Anblicks Lust möchte’ jubelnd es
bezeugen
Und kann vor solcher Pracht nur still sich beugen.
An den Carolus Magnus auf der Mainbrücke
richtet er Verse, in denen er dessen Bekehrungswerk, die Ausbreitung
der „Religion der Liebe“ mit Feuer und Wort streift; er
schließt das Sonett mit den Zeilen:
Was einst Carolus Magnus mußt’
erbahnen,
Ist Stein geworden, wie er selbst, der Menge,
Des Wortes Geist blieb ihr ein dunkles Ahnen.
Der Frankfurter Römer, die Paulskirche, das
Heidelberger Schloß, der Rigi, der Rheinfall, diktiren ihm Verse,
die sich neben den Gleiches behandelnden Produkten unserer Kunstdichter
recht wohl mit Ehren sehen lassen können.
Wollt Ihr Ernst und Heldenthum des modernsten
Lebens? Nehmt das „Gedicht vom Schlachtfeld der Arbeit,“ wo
ein Proletarier mit Opferung seines Lebens die Insassen eines
Eisenbahnzuges durch kühnes wagemuthiges Handeln rettet. Audorf
singt damit sein „Lied vom braven
Mann.“
Doch auch über eine lebendig pulsirende
humoristische Ader verfügt Audorf. Auf „Schwitzer
Dütsch“ versteht er ein schmuckes Viönli *[Das
Veilchen] anzusingen; Diogenes und Alexander läßt er lustig
disputiren; wo das beste Bier sei, im Gasthof „zur Sonne“
oder „zur Tonne.“ – Volkslieder- und Handwerksburschen-Humor, auf
die Höhe heutiger Arbeiterbildung gehoben, - die man sich ja nicht
verächtlich oder geringfügig vorstellen darf – das sind
seine Wanderlieder!
Alle Lieder Audorf’s durchzieht ein
wohlthätiger Hauch von Wahrheit und Gesundheit; da sind keine
gemachten Gefühle; das ist !lles echt und aus dem vollen Leben
heraus gesehen, gehört, empfunden und kunstreich wieder
herausgestellt zu unverfälschtem Genuß für Hörer
und Leser. Seine wahre Vaterlandsliebe, die anfänglich an die
Landes- und Volksart seiner norddeutschen Heimath anklingt, giebt den
erfreulichen
Beleg, wie Weltbürgersinn sich mit Liebe zum
Mutterboden und zu den Landesbrüdern engster Blutsverwandschaft
recht wohl verträgt, wie „Patriotismus“ und
„Kosmopolitismus“ keineswegs einander sich
ausschließende Begriffe sind. Gut deutsch, ja gut norddeutsch
durchaus in Leben und Weben, in Denken und Dichten und ein guter Soldat
der weltbürgerlichen Arbeiterbewegung, stellt Audorf dar, was enge
Köpfe für unmöglich halten.
(Nach dem Berliner Sonntagsblatt.)
Inhalts-Verzeichniß
Deutsche Arbeiter-Dichtung Bd. 2. Eine Auswahl
Lieder und Gedichte deutscher Proletarier, Stuttgart 1893, Jakob Audorf
S. 1-6
Biographie – S. 1
Widmung (Nimm, Vater, diese schlichten Reime)
– S. 13
Tendenz-Gedichte,
Ludwig Börne (Wohl hat’s der
Männer schon gar viel gegeben) – S. 17
Heinrich Heine (Zu Grabe trug man Heinrich Heine)
– S. 19
Aus der Gegenwart (Die freie Selbstbestimmung)
– S. 21
Ein Armenbegräbniß (Im hohen Saale von
Marmor und Gold) – S. 24
Vom Schlachtfelde der Arbeit (Kaum will das erste,
matte Tageslicht) – S. 25
Die schwarze Schaar (Als einst die Bauern
stritten) – S. 27
Erkenntniß (In deiner rust ruhn nicht des
Schicksals Sterne) – S. 30
Weihnachtsbilder: (Weihnacht
1888)
I. Die kleine Zeitungsverkäuferin (Um die
Straßencken pfeift der raue Wind) – S. 32
II. Der Landbriefträger (Fern über die
Felder in flimmernden Flocken) – S. 33
III. Weihnacht auf der See (Es stöhnen
Klüver, Spier und Raaen) – S. 34
IV. Die Ausgesperrten („Stille Nacht,
heil’ge Nacht!“) – S. 36
Prolog der Werftarbeiter (Getragen von den
schaumgekrönten Wogen) – S. 39
An Deutschlands Arbeiter (Schon manche Leier ward
gestimmt) – S. 40
Prolog zur Todtenfeier Lassalle’s (Das war
ein frisches, fröhlich Lenzeswehen) – S. 43
Prolog zur Weihnachtsbescheerung des Hamburger
Arbeiter- Frauen- und Mädchenvereins [Weinachten 1876] (Herbei,
herbei nun, Jung und Alt) – S. 45
Zum Parteikongreß in Halle (Die Gesellschaft
befrackt und besternt) – S. 48
Zum 1. Mai 1890 (Noch starrt die alte Welt ringsum
in Waffen) – S. 50
Den zu Weihnacht 1890 ausgesperrten Arbeitern
Deutschlands (Nun kommt das Weihnachtsfest uns wieder) – S. 52
Zur Winterszeit (Das neue Jahr hat streng
begonnen) – S. 54
Die Maifeier der Arbeiter (Was ist in diesen
Tagen) – S. 57
Gedanken eines alten Arbeiters (Wohl
fühl’ ich, daß ich älter worden) – S. 59
Zum neunten deutschen Drechslertage in Leipzig (Es
waren unsre Zunftgenossen) Antwort an Hermann Pilz) – S. 62
Viel Feind’ – viel Ehr’! (Es
werden jetzt die armen Demokraten) – S. 63
Neujahrsgruß der deutschen Zimmerer (1888)
(Nun ist uns wiederum ein Jahr entschwunden) – S. 65
Aufhebeung der Accise in Hamburg (31. August
– 1. September 1888) (Hurrah, hurrah! Nun ist sie doch gefallen)
– S. 67
Glosse (So in meiner Gartenlauben) – S. 69
Das stumme Königreich /Es herrscht ein
König voller Macht) – S. 71
„Ihr“ und „Euch,“ und
„Sie“ und „meine Harren!“ (Viel schöne
Worte hörten wir erklingen) – S. 73
Im Sachsenwald (Ahnungsvolles Flüstern)
– S. 74
Post festum zum 1. April 1891 („Die
Deutschen“ einst der brave Börne sprach) – S. 76
Eine wahre Geschichte (Raketenkiste?
hör’ ich fragen) – S. 79
Der Bazar des Rauhen Hauses (Wie sah die reichen
Leute jüngst man laufen) – S. 81
Buchholz im Staatsrathe (Bis jetzt wir hörten
nie ihn nennen) – S. 83
§ 153 (Ach Gott, ich armes Mädchen)
– S. 85
Liebknecht in Hamburg (In Barmbek’s
Viktoriagarten) – S. 87
Frühlings-Anarchie (Im Mai beginnt die
Anarchie) – S. 88
Sankt Peter und der Streikbrecher (Ein
Streikebrecher , hu, hu, hu!) – S. 90
Wo bleibt’s? („Wo bleibt mein
Geld?“ So frag’ ich jede Woche) – S. 92
Gruß an meine Vaterstadt (Sei mir
gegrüßt in deiner Schöne) Zur Gewerbe- und
Industrie-Ausstellung in Hamburg 1889 – S. 94
Nationalliberales Küchenrezept für eine
Arbeiterfamilie von vier Personen. (Sonntag: Kartoffel koch’ mit
Sauerkraut) – S. 97
Dividenden-Knechtschaft (In starker Faust den
Schlägel’ und das Eisen) – S. 99
Räubergeschichten (Von Räubern las man
früher oft mit Grausen) – S. 101
Die Noth der Zeit (Das Korn ist längst nicht
mehr gerathen) – S. 103
Die sozialdemokratischen Dienstmädchen
(Achtizigtausend Domestiken) – S. 105