Liebe schafft Leide
Am Weidenboom, am Weidenboom,
Da saßen sie allnächtig,
Sie sannen hin, sie sannen her,
Ob Liebe ein Verbrechen wär’;
Am Weidenboom, am Weidenboom,
Da liebten sie sich mächtig!
Am Weidenboom, am Weidenboom,
hat sie ihr Kind begraben,
Sie zog sich ab ihr Krinolin,
Verfluchte sich und es und ihn;
Am Weidenboom, am Weidenboom,
da fraßen ihr die Raben.
Am Weidenboom, am Weidenboom,
Da fand er ihr Gerippe,
Er drückte den Knochen an sein Herz,
Sonst hat er weiter keinen Schmerz -
am Weidenboom, am Weidenboom
Ist die Moral zu lesen:
„O Mädchen, Mädchen, hüte
dich,
Sonst geht es dich wie es und mich -
Am Weidenboom, am Weidenboom -
Karline Vogt aus Tegel …“
Geschichte / Kommentar:
Dieses auf die Melodie des berühmten
deutschen Weihnachtsliedes „O Tannenbaum“ gesungene Lied hat Hans
Ostwald, der es 1910 in seine „Erotischen Volkslieder aus
Deutschland“ aufgenommen hat, in Breslau gehört. Es stellt
mit der Melodieübernahme ebenso eindrucksvoll wie makaber dem Kult
des Immergrüns und Beständigen die Vergänglichkeit
gegenüber.
Krinol’ine [franz. von crin
„Roßhaar“], Reifrock. Gemeint ist der weite,
glockigfallende Frauenrock ungefähr aus der Zeit um 1840, unter
dem sich 5-6 Unterröcke verbargen. Die Krinoline erreichte
1860 mit 6-8 m Umfang (eta 1,80m Durchmesser) die größte
Weite. Rund fünf Jahre später wurde sie durch das
Prinzesskleid ersetzt.
Quellen:
Hans Ostwald, Erotische Volkslieder aus
Deutschland, Berlin 1910, S. 104
Leo Schidrowitz, Das schamlose Volkslied. Eine
Sammlung erotischer Volkslieder, Wien 1925, S. 127.
Der Pott, Wolfenbüttel 1936, S. 61