Die Balalaika
in der kommunistischen Musikkultur
der Weimarer Republik

Im Zuge der Sowjetisierung bzw. Russifizierung der kommunistischen Agitation hielten seit Beginn der 1920er Jahre viele Lieder russischen Ursprung Einzug in das Lied-Repertoire der KPD. Mit einer leichten zeitlichen Verzögerung auch in das Repertoire der Instrumentengruppen.

Waren es anfänglich noch russische Kampflieder, die enthusiastisch gespielt wurden, hielt zunehmend die „russische Seele“ Einzug in Lied und Hirn.

„Wohl durch kaum eine andere Kunstausübung ist vor 1933 soviel Interesse, Wärme, Mitgefühl und Kampfesverbundenheit für die Sowjetunion zum Ausdruck gebracht und geweckt worden wie durch die proletarische Instrumentalmusik mit ihren russischen Volkslied- und Volkstanzinterpretation und denen russischer Kampflieder und –märsche. Diese russische Musik wurde in der Regel in potpourriartiger Form vorgetragen und erfreute sich bei Interpreten und dem proletarischen Publikum größter Beliebtheit.“ (Ebert, 1971, S. 195)

Kritik an dieser Entwicklung wurde einfach zu Seite gefegt. Als Hans Lehnen im „Freien Zupfer“ die Frage aufwarf, was denn an „Konzert mit ‚reinen Orchesterwerken’ russischer Nationalität „tendenziös“ sein solle“ (Ebert, 1971, S. 196), antwortete Herbert Braune, Leiter des Leipziger Arbeiterkammerorchesters

„Wenn man der Überzeugung ist, daß das neue Rußland als Keimzelle eines künftigen sozialistischen Gesellschaftszustandes zu unterstützen ist, und daß man darum dafür werben muß, so ist es auch durchaus berechtigt, die anwenden Menschen durch die dort angegebene Programmgestaltung von der gefühlsmäßigen Seite her zu beeinflussen.“ („Freier Zupfer, 1932, 10. Jg., Nr. 10, S. 6, nach Ebert, S. 197)

Die blinde Begeisterung ging soweit, dass die Konzerte sich „fast ausschließlich diesem Repertoire widmeten“. Ebert gibt ein Beispiel eines Massenkonzertes der „Kampfgemeinschaft für Arbeitermusiker“ aus dem Jahre 1932 an:

1.  Paraphrase über das Lied „Stenka Rasin“
2.  Lieder der französischen Revolution
3.  Klänge aus der Sowjetunion
4.  Kampflied der französischen Jungkommunisten
5.  Rote Signale, Nr. 2, russische Kampflieder
6.  Kaukasische Nächte, russisches Charakterstück
7.  Russische Romanzen
8.  Rote Matrosen, russisches Kampflied
9.  Rote Fahne, russisches Kampflied
10.  Potpourri ukrainischer Volkslieder
11.  Die Sowjetsteppe
12.  Sonntag am Dnjepr. russisches Potpourri
13.  Rote Signale, russische Kampflieder (nach: Freier Zupfer, 1932, 10. Jg., Nr. 7, S. 3f.)

Im Oktober 1925 schrieb Durus (das ist Alfred Keményi) in „Die Rote Fahne“ vom 6.10.1925 einen Artikel über ein Berliner „Deutsch-Russisches Liebhaberorchester“. Das Orchester leiste „gute, anerkennenswerte Arbeit für die revolutionäre Bewegung“. Es spiele „innerhalb unserer Veranstaltungen russische Volkslieder und revolutionäre Kampflieder mit einer solchen Begeisterung und jugendlichen Frische, daß ihr Spiel mitreißt, nicht loslässt, die revolutionäre Leidenschaft der Zuhörer hell auflodern läßt … Hell und rein ist ihr Spiel, es verändert die scheinbar der Revolution abseitsliegendsten russischen Bauernlieder zu revolutionären Kampflieder, besser gesagt: es ergreift die tiefsten Wurzeln dieser Lieder. Denn – die russische Volkslieder alle – nicht nur die Kampflieder – sind Vorboten der großen russischen Revolution; selbst im ‚passivsten’ russischen Volkslied klingt doch immer die Sehnsucht nach der Befreiung, die Hoffnung auf die Revolution mit.“ Also mit anderen Worten: Man kann sich alles schön reden. In der Realität wird aber lediglich deutsche Volkstümlichkeit durch russische ausgetauscht.

Als bekannteste Gruppe nennen Ebert und Lammel das „Balalaika-Orchester des Verbandes der Studenten der USSR-IFA“. Es wurde 1926 mit Hilfe der sowjetischen Handelsvertretung gegründet. Dem Orchester war noch eine Tanzgruppe angeschlossen (Lammel 1984, S. 172; Ebert, S. 197f.; Henke, S. 91f.) Die sowjetische Handelsvertretung hatte 400 Mark zur Anschaffung von Instrumenten, Balalaikas und Domras, zur Verfügung gestellt (Ebert, S. 197f.) Die Gruppe bestand aus zwölf Mitgliedern, von denen Ebert folgende namentlich erwähnt: Otto Möller und Frau, Nina Hermann, Kurt Gärtner, Max Tinneberg, Mario Tschesno-Hell, Eugen Feurich, Frau Bussauer und Herr Fink (nach Ebert, S. 198)

Gründung der IfA ? (Interessengemeinschaft für Arbeiterkultur), - folgt später


Arbeiter-Balalaika-Orchester „Wolgaklänge“ in Hamburg
Zusammenfassung aus Ankündigungen und Anzeigen der Hamburger Volkszeitung (HVZ)

In der HVZ finden sich nur Ankündigungen für das Arbeiter-Balalaika-Orchester „Wolgaklänge“. Erstmals erwähnt wird das Orchester am 16. Juli 1929, als es auf den Übungsabend „an jedem Donnerstag, 20 bis 22 Uhr, im Lokal Bärthel, Talstr. 45“ aufmerksam macht. Anfänger würden noch aufgenommen (HVZ v. 16., 17., 18.7. und 5.9.29). Am 11. September 1929 heißt es zusätzlich „Es werden noch Mandolinenspieler mit Notenkenntnissen zur Verstärkung des Orchester aufgenommen, für Balalaika auch ohne Notenkenntnisse. Neuer Notenkursus beginnt.“ 15 Tage später wird nicht nur auf den neuen Kursus für Anfänger hingewiesen, sondern auch als Dirigent Arthur Kleemann vorgestellt (HVZ v. 26.9.29; dabei dürfte es sich um den gleichen Kleemann handeln, der zu Beginn des Jahres mit „Kleemanns Mandolinen-Orchester“ in den Ankündigungen stand (siehe Mandolinisten in Hamburg) Außerdem heißt es:

„Zur Verstärkung unseres Balalaika-Orchesters benötigen wir noch einige Mandolinenspieler mit Notenkenntnissen. Musikfreunde, sorgt dafür, daß das Orchester ein Volksorchester wird zur Hebung der russischen Volksmusik.“ (HVZ v. 26.9.29. Diese Anzeige taucht in den folgenden Ausgaben der HVZ des Öfteren auf.)

Am 10. Dezember wird ein „Extraübungsabend um 19.30 Uhr (Fortgeschrittene 20.15 Uhr) bei Karl Wiede, St.Pauli, Erichstraße 72“ angekündigt. Darüber hinaus heißt es, dass sich „in der letzten Zeit viel Interessenten zur Erlernung der russischen Volksmusik an den Verein gewandt hätten, daher sehe man sich veranlasst, Anfang Januar 1930 einen neuen Notenkursus einzurichten“. Weiterhin werden aber „Manodlinen- und Gitarrespieler mit Notenkenntnissen angenommen“ (HVZ v. 10.12.29, S. 3)

Ein erster öffentlicher Auftritt des Balalaika-Orchesters „Wolgaklänge“ ist für den Sonntag, den 15. Dezember 1929 anlässlich einer „Kundgebung der Arbeiterinnendelegierten gegen das Antikommunistengesetz“ und „gegen die Versammlungsverbot des Norddeutschen Arbeiterschutzbundes“, in der Münzburg am Münzmarkt in Altona angekündigt. Zusammen mit „sportlichen Vorführungen“ des VfL und der Vorführung des „russischen Großfilm „Die Mutter“, 8 Akte, von Maxim Gorki“, wurde die Veranstaltung vom „Bezirksfrauenkomitee Wasserkante“ organisiert (HVZ v. 11.12.29, S. 6  Sp.5, unten)

Bei einer Veranstaltung am 19. März 1930 der „Wolgaklänge“ in Geesthacht ist man in der kurzen Nachbetrachtung nicht gerade überschwänglich. „Dem Balaleikaorch „Wolgaklang“, Hamburg, gebührt für seine vorzüglichen Leitungen vollste Anerkennung“, heißt es lapidar. (HVZ v. 27.3.1930, S. 3, Sp. 5)

Das Balalaika-Orchester scheint kaum einen Abend alleine zu bestreiten. Auch bei den letzten dokumentierten Veranstaltungen ist immer noch mindestens ein anderes Orchester dabei. Am 31. Mai 1930 beim „großen Volkskonzert bei Wulf ist es die Schalmeienkapelle „Klangfrei“ (HVZ v. 31.5..30), bei den „101 Neuaufnahmen in die Rote Hilfe“ am 27. September 1930 ist es ein Künstler von den Kammerspielen und der Genosse Gustav Gundelach und beim „Bunten Abend der IAH“ am 22. November 1930 bei Sagebiel ist es die Damenriege des Arbeiter-Sportvereins Wooterkant, eine Schalmeienkapelle, die „Rote Kolonne und die Agitproptruppe des KJVD.

Eine etwas sonderbare Kritik konnte man am 27. September 1930 in der HVZ lesen: „Das Balalaika-Orchester. gab sein bestes her, doch wurde das Fehlen des Uhlenhorster Blasorch. (welches nicht verpflichtet worden war) von allen empfunden. Beide Orchester hätten sich ergänzen müssen. Das soll nun aber nicht heißen Abschwächung der Leistungen der „Wolgaklänge“, im Gegenteil. Diese proletarische Kunst galt dem Gedenken unserer Klassenbrüder in den Gefängnissen“. (HVZ v. 27. 9.30 (Sa), S.7  Sp.5)


Schellack-Platten im Archiv:

Interpreten: Balalaika-Orchester
Burlaki. Lied der Wolgaschlepper (ADLER ELECTRO, Matr.Nr. 6426, Best.Nr. 5220)
Das Dreigespann (Beka; Matr. Nr. 32656; Best.Nr. B 5327-I)
Mütterchen Wolga-Polianka ((Beka; Matr. Nr. 32657; Best.Nr. B 5327-II)
Stenka Rasin (Russ. Volkslied) (ADLER ELECTRO; Matr.Nr. 6425; Best.Nr. 5220)
Ukrainisches Potpourri (1. Teil) - ELECTRO HERTIE, NR. 345
Ukrainisches Potpourri (2. Teil) - ELECTRO HERTIE, NR. 345


Siehe auch:
Instrumentalmusik im politischen Kampf
Eduard Soermus (der rote Geiger) und die Hamburger Nachahmer;

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