Deutscher
Arbeiter-Sängerbund (DAS) - 4
Die Einführung in den
Inhalt der zehn Teile der Männerchorsammlung,
in der vorangehend der „Mangel an
künstlerisch bedeutungsvollen
Tendenzchören“ beklagt wird, macht die
umfangreichen Gedanken, die Guttmann sich bei der
Zusammenstellung gemacht hat deutlich. Es hat uns,
die wir auf dem Gebiet der Männerchöre
noch nicht so routiniert sind, dass über die
Musik im Umfeld der KPD (wie z. B. Eislers)
erheblich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde,
während sich hier eine so umfassende Analyse
zur musikalischen Erziehung breiter
Bevölkerungsschichten gemacht wurde. Wir
würden uns heute vergleichbares,
natürlich aufgrund der zwischenzeitlichen
Entwicklung, erweitertes Blickfeld wünschen.
Im ersten Teil wurden 28
„Arbeitsgesänge
und Kampflieder aus
alter und neuer Zeit, aus dem Inland und aus dem
Auslande“. Da einige davon in der
Originalfassung nationalistisch gehalten waren, hat
man versuchte, gewalttätige Inhalte.
„ins Reich geistiger und
allgemein-menschlicher Kampfgesänge“ zu
übertragen. Der Teil sei aber im Ganzen
„voll dunkler Stimmung, durch die aber auch
die rote Farbe der Revolution leuchtet“.
Der zweite Teil wird denn auch
„heller“ und bringt „Hoffnungs- und Siegesgesänge“. Die auch hier vorhandenen
Kampflieder seien; „aber solche, die
über das Grau und den Rauch der Fabrik auf die
Bergeshöhen in reinere Sphären
hinaufführen“. Man blicke „in das
Morgenrot, jauchzen und jubeln einer besseren
Zukunft zu“.
Im dritten Teil sind „Trauer- und Trost-Weisen“ zusammenfasst. Hier findet
auch die Gram ihren Niederschlag, die „den
Proletarier an dem Grabe der Märzgefallenen
niederdrückt“. Durch das
„Schwarzgrau von Trauer und Gefängnis,
von Krankheit und Tod“ würde der Trost
leuchten. An der Prophezeiung, dass zwar der
Einzelmensch stürbe, die Menschheit aber
„unsterblich“ sei, kann man allerdings
Zweifel anmelden.
Der vierte Teil behandelt als
weiteren wichtigen Teil der menschlichen
Befürfnisse die „Fest- und
Feierhymnen“.
Im fünften Teil sind die
an anderer Stelle als häufig fehlend beklagten
älteren deutschen Volkslieder. Hierunter
fallen Lieder der Minnesänger (z. B. vom Locheimer Liederbuch oder jene Lieder vom Augsburger Valentin Rathgeber) Guttmann weist hier daraufhin, dass man
für Aufführungen „genau mit den
Anmerkungen vertraut machen“ müsse, da
„man ohne kulturgeschichtliche Kenntnis nicht
in der Lage“ sei, „diese alte Musik
wirklich lebendig zu machen“. Leichter sei es
da schon, wenn sich die Chöre an die Lieder im
sechsten Teil machen. Der hat nämlich die
neueren deutschen Volkslieder zusammengefasst (am
etwa 1800). Diese Lieder aus der Zeit der Romantik
seien „Sinnig, beschaulich, ohne tiefere
Probleme, von Naturschwärmerei, Waldstimmung
und Mondschein erfüllt“.
Im siebten „einem
wichtigen“ Kapitel wuden 34 ausländischen Volkslieder, zusammengefasst, wozu noch 15
Lieder aus den Kapiteln 1-4 einzubeziehen seien.
Guttmann wünscht sich, bereits einen Schritt
in Richung „Weltmusik“ gehend,
allerding für unsee heutigen Ohren
gewöhnungsbedüftig „eine Vertiefung
der Beziehung von Volk zu Volk durch Erkenntnis
fremder Volksseele“. Weiter heißt es da:
„Gerade das Lied fremder
Völker gibt die Möglichkeit, uns in den
Ausdruck anderer künstlerischer
Gefühlsformung hineinzuversetzen. Alle
Volkskunst ist national bedingt; so ist die
Volksmusik in den verschiednen Ländern
charakteristisch verschieden. Aber zugleich geht
ein einheitlicher Prozeß der Formung durch
alles, was im Volke Geltung hat, da die
Lebensbedingungen des „niedern Volkes“
in den verschiedenen Ländern z. T. viel
weniger verschieden sind, als zwischen den
sogenannten „Gebildeten“ und dem
„Volk“ des gleichen Landes.“
Dabei gab es „die
allergrößte Schwierigkeit“, da
„die Sprachverschiedenheiten und national
bedingten rhythmisch-melodischen Abweichungen der
Volkslieder untereinander sind ja sehr
groß“ sei. Insbesondere die slawiscen
Sprachen „unterscheiden sich
außerordentlich stark“, doch auch
„die romanischen Sprachen verlangen
gemäß ihrer Struktur andere rhythmische
und melodische Wendungen“. Daher wurden nur
solche Lieder genommen, „die dem Deutschen am
meisten angenähert sind“. In diesem
Zusammenhang lobt er die ausländischen
Mitarbeiter, wie z. B. Professor Petyrek in Athen
und dessen Kenntnis von der Musik des Balkans. Auch
habe die im Verlag Schott erschienenen Bände
„Stimmen der Völker“ wichtige
Erkenntnisse gebracht. Von den russischen
Sammlungen erwähnt er besonders die von
Rimski-Korssakoff und die „im Archiv des
Verlags Zimmermann liegenden, meist
unveröffentlichten sibirischen Lieder“.
Im 8. Teil wurden
Werke älterer Meister historisch sortiert
zusammengefasst. Hier wurden auch
„Originalsätze ohne jeden
Eingriff“ einbezogen. Madrigale wurden
fortgelassen, da sie sich nicht für den
Männerchor eignen würden.
Der 9. Teil der
Sammlung fast moderne Musiker (ab ca. 1850) des In-
und Auslandes zusammen. Es finden sich
Kompositionen aus Deutschland, Holland, Frankreich,
Italien, Rußland, Böhmen und
Skandinavien. Wenn die Abteilung mit 27 Liedern
(neu 10) auch klein wirkt, so muss sie „um 49
Originalkompositionen moderner Meister in Teil I
und IV“ ergänzt werden. Guttmann
ist davon überzeugt, dass sich dadurch
„ein Spiegelbild“ ergibt, „wie
die neueren Meister des In- und Auslandes den
Männerchor pflegen“.
Der 10. Teil wird
mit „Kanon und Scherz, Fuge und Unfug“
überschrieben. Dieser Teil sei „mit
besonderer Sorgfalt und unter rücksichtsloser
Ausrottung alles dessen, was wir als „Unkraut
im Garten des Männerchors“ ansehen,
aufgebaut“. Auch dieser Teil wurde historisch
chronologisch aufgebaut. Besonders das 16. und 17.
Jahrhundert böte „zahlreiche
kräftige, scherzhafte Stücke, die zum
Teil auch heute noch verständlich oder
wenigstens deutbar“ seien. Es seien ja
„im Grunde die gleichen Dinge, in denen sich
menschliche Schwäche zeigt: man nannte es
damals Falschmünzerei, man nennt es heut
Inflation und Kapitalverschiebung“. Besonders
werden noch die Kanons erwähnt, die den
Scherzen folgen. Die Herausgeber messen ihm
„eine besondere Wichtigkeit bei“. Sie
dienten dem „Musizieren um des Musizierens
wegen“, da nichts das Gehör und das
Interesse an selbständigem Singen mehr schult
als der Kanon, denn keine Stimme sei Begleitstimme.
Als Kuriosität
möchten wir an dieser Stelle aber noch drei
Lieder erwähnen, die den „Strafgroschenverein“ mit ins Spiel bringen.
Dieser Verein aus der Mitte des 19. Jahrhunderts
Besonders erwähnt Guttmann auch die
„Heranziehung der modernen Tanzformen“.
1933–1945
Nach der Machtübernahme
der Nationalsozialisten gerieten auch die
Arbeitergesangsvereine ins Visier der
NS-Behörden. Im Mai 1933 löste sich der
DAS offiziell auf. Im Zuge der Gleichschaltung
wurden einzelne Gesangsvereine in die
nationalsozialistischen Kulturorganisationen, wie
dem Deutschen
Sängerbund eingebunden.
Literatur
Alfred Guttmann: Wege und
Ziele des Volksgesanges, Berlin (Max Hesses Verlag,
1928.
Alfred Guttmann: Vorwort zur
Chorsammlung des Deutschen
Arbeiter-Sängerbundes, Männer-Chöre.
Partitur. Verlag des DAS, Berlin, 1929. 290 Lieder
auf 880 Seiten.
Rainer Noltenius (Hrsg.): Illustrierte Geschichte der
Arbeiterchöre. Schriften
des Fritz-Hüser-Instituts für deutsche
und ausländische Arbeiterliteratur, Reihe 1:
Ausstellungskataloge zur Arbeiterkultur, Bd. 8,
Klartext Verlag, Essen 1992, ISBN 3-88474-007-5.
Dietmar Klenke, Peter Lilje,
Franz Walter, Peter Lösche (Hrsg.): Arbeitersänger und
Volksbühnen in der Weimarer Republik. Dietz, Bonn 1992, ISBN
3-8012-4011-8. (Solidargemeinschaft
und Milieu 3), (Politik- und Gesellschaftsgeschichte 27).
Dietmar Klenke, Frank Walter:
Der Deutsche Arbeiter-Sängerbund bis 1933. In:
Rainer Noltenius (Hrsg.): Illustrierte Geschichte der
Arbeiterchöre.(siehe
oben) Susanne Döscher, Egon Kuhn (Freizeitheim
Linden der Landeshauptstadt Hannover), Unsere
Inge Lammel: Arbeiterlied – Arbeitergesang.
Hundert Jahre Arbeitermusikkultur in Deutschland.
Aufsätze und Vorträge aus 40 Jahren
1959-1998. Hentrich und
Hentrich, Berlin 2002, ISBN 3-933471-35-4.
Inge Lammel: Die Herausbildung der
Arbeitermusikkultur in Deutschland als Grundlage
für eine sozialistische Musikentwicklung vor
1945. (Diss.), Berlin
1975.
Werner Kaden: Signale des Aufbruchs. Musik im
Spiegel der „Roten Fahne“. Verlag Neue Musik, Berlin 1988,
ISBN 3-7333-0030-0.
William Koehler: The Politics of Singing: The German
Workers’ Choral Association in Comparative
Perspective, 1918–1933. Lambert Academic Publishing,
Saarbrücken 2011, ISBN 978-3-8465-3627-8.
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