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Deutsche Arbeiter-Dichtung Bd. 2.
Eine Auswahl Lieder und Gedichte deutscher Proletarier, Stuttgart 1893, S. 1-6

Jakob Audorf

Auch die deutsche Arbeiterbewegung hat ihre Sänger. Wer die sozialdemokratische Presse seit zwanzig Jahren aufmerksam verfolgt, kennt den begabtesten von allen, den formvollendeten, heißempfindenden Rudolf Lavant als einen würdigen Nachfolger Freiligrath’s. Am populärsten aber war unstreitig der Verfasser der deutschen Arbeiter-Marseillaise, Jakob Audorf.

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Der Vater unseres Dichters – denn einen solchen haben wir vor uns! – Jakob Audorf der Aeltere war der Sohn sehr armer Eltern und ist geboren 1807 zu Hamburg. Seine erste Jugenderinnerung ist die an die Austreibung der Hamburger durch Davoust im Winter 1813, traurige Vorgänge, die ja auch Semper, der große Baumeister und Kunstschriftsteller, Erbauer der Dresdener Barrikaden, mit erlebte als Knabe. Der ältere Audorf wurde Haartuchweber, ein damals speziell in Hamburg blühendes Gewerbe, das jetzt fast gänzlich von der Bildfläche verschunden ist. Er eignete sich durch unablässiges eigenes Streben eine für seinen Stand höchst achtenswerthe Summe von Kenntnissen an, so daß er unter seinen Genossen als eine Art Weisere betrachtet wurde, den man in schwierigen Fragen gern zu Rathe zog. Im „tollen“ Jahre 1848 – ein „Jubeljahr, die rothe Trennungslinie, welche unser Jahrhundert literarisch theilt und Epoche macht,“ nennt es Georg Brandes! – im Jahre 1848 war Audorf der Aeltere glühender Demokrate und wurde in die Hamburger „Konstituante“ gewählt, welche den Auftrag erhielt, auf Grund der Frankfurter Grundrechte eine Verfassung für die freie Stadt Hamburg zu schaffen. In der folgenden Reaktionszeit sprachen in Audorf’s bescheidenem Heim eine Menge politischer Flüchtlinge aus aller Herren Länder vor; unter ihnen auch Wilhelm Weitling, durch dessen häufige Besuche und gesprächige Mittheilungen der gastliche Wirth die kommunistischen Lehren der Cabet, Fourier, Saint-Simon u.s.w. kennen lernte.

Von seinen Freunden ward nachmals Audorf nach London gesandt, um mit Marx und anderen deutschen Flüchtlingen Berathungen zu pflegen über eine etwaige norddeutsche Erhebung gegen die brutale Reaktion. Die Verhandlungen verliefen natürlich ohne Resultat, aber bei seiner Heimkehr wurde Audorf wegen „kommunistischer Umtriebe“ in Anklagezustand versetzt und zu drei Monaten Gefängniß verurtheilt. Dadurch ward sein kleines selbständiges Geschäft ruinirt und er hat sich fernerhin mit seiner zahlreichen Familie mühsam genug durchs Leben schlagen müssen. Aber stets nahm er eifrigen Antheil an allen Bestrebungen, welche nur irgend eine Aussicht eröffneten auf Befreiung des Proletariats; so schloß er sich auch der neuesten Arbeiterbewegung mit Feuereifer an. Als Redner für dieselbe ließ er sich vernehmen, aber auch kleine Versuche, seine Bestrebungen mit der Feder zu fördern, hat er gemacht; auch poetische Veranlagung ging ihm nicht ab, die in Gelegenheitsgedichten fürs Haus oder für die gewerkschaftlichen Feste seiner Kollegen zur Geltung kam.

Diesem Manne wurde am 1. August 1835 ein Sohn, Jakob Audorf der Jüngere, unser Dichter, geboren. Derselbe besuchte die Paßmann’sche Armenschule und durchlebte als dreizehnjähriger Knabe das merkwürdige Jahr 1848, natürlich mit einer durch den Einfluß des Vaters besonders erweckten antheilname und mit geläutertem Verständniß. Später ging er in die Lehre als Schlosser und Mechaniker oder Maschinenbauer, und mußte am Schraubstock, an der Metall-Drehbank und in der Schmiede fünf schwere Jahre durchmachen. Seine Kenntnisse suchte er im Hamburger Bildungsverein, damals die Hochburg der dortigen Demokratie, zu erweitern und ging 1857 im erbst mit drei Thalern in der Tasche auf die Wanderschaft. Ein Jahr darauf finden wir ihn in der Schweiz, wo er zwei Jahre lang dem deutschen Arbeiterverein in Winterthur präsidirte und Ersprießliches leistete. 1859 entsandte man ihn als Delegirten nach Zürich zum Schillerfest, wo Audorf die ungemein zündende Festrede hielt, auch den sonst nicht unbekannten Dr. Fein, sowie zu seiner großen Freude Georg Herwegh kennen lernte. Ebenso sah er dort einen „semmelblonden Jungen,“ de rihm als Hans Blum, der „Student der unveräußerlichen Menschenrechte“ – so lauteten dessen Visitenkarten ehemals! – der so kleine Sohn eines großen Vaters! – bezeichnet wurde.

Aus eigener Kraft hatte sich Audorf die Kenntniß der französischen Sprache angeeignet, und so wanderte er 1861 durch die Schweiz über Müllhausen nach Paris. Ueber London nach Hamburg heimgekehrt, trat er in die damals, 1864, eben in Fluß gekommene Lassalle’sche Bewegung ein. Er wurde nahc Leipzig delegirt, wo er unter Lassalle den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein mitgründete und zum Mitglied des Vorstandes gewählt wurde.

1864 wurde die erste Todtenfeier zu Ehren Lassalle’s gehalten, und Audorf verfasste bei dieser Gelegenheit das Lied, mit welchem er sich in die Herzen der deutschen Proletarier hineingesungen hat. „Dieses Lied wurde später die deutsche Arbeiter-Marseillaise genannt,“ schreibt der bescheidene Mann. Und in der That, nicht nur die Weise des Liedes, in die dasselbe hineingesungen ist, begründet diese Bezeichnung; es ist wirklich das Kern- und Parteilied der Sozialdemokraten Deutschlands geworden. Obgleich Schreiber dieser Zeilen die sozialistische Literatur so leidlich kennt und zwei Jahrzehnte lehrend und lernen, in Freud und Leid mit den deutschen Arbeitern gelebt hat, - so weiß er keinen Sang, der Audorf’s warm empfundene Strophen ersetzen könnte.

Wie oft haben schon unter den Klängen derselben deutsche Arbeiterherzen hoffnungsfreudig höher geschlagen, deutsche Arbeiteraugen kühner geleuchtet! Wie oft ist der Schreiber dieser Zeilen selbst Zeuge davon gewesen, daß Audorf wirklich ausgesprochen hat, was die armen, verfolgten, bedrückten und doch so stolzen, zielbewussten Proletarier fühlen! Den Lesern ist das Lied ja wohl bekannt. Nach dem Aufruf an alle, die „Recht und Wahrheit achten,“ zum Kampf gegen den tiefstgehaßten Feind, „den Unverstand der Massen,“ lautet die dritte Strophe:

„Das freie Wahlrecht ist das Zeichen,
In dem wir siegen! – Nun wohlan!
Nicht predigen wir Haß den Reichen,
Nur gleiches Recht für Jedermann!
Die Lieb’ soll uns zusammenketten,
Wir strecken aus die Bruderhand!
Aus geist’ger Schmach das Vaterland,
Das Volk vom Elend zu erretten!
Nicht zählen wir den Feind,
Nicht die Gefahren all:
Der kühnen Bahn nur folgen wir,
Die uns geführt Lassall’! - -„

Diesem Lied kommt ohne Zweifel historische Bedeutung zu. …

Die Gräfin Hatzfeld und die Prätendenten der Nachfolgerschaft Lassalle’s sagten Audorf nicht zu, und aller der folgenden Zwistigkeiten innerhalb der Arbeiterpartei müde, ging er 1868 nach Rußland. Von dort rief ihn August Geib nach Hamburg zurück in die Redaktion des „Hamburg-Altonaer Volksblattes.“ Die Most-Hasselmann’sche Richtung und anderes trieben ihn aber wieder nach Moskau, indessen liquidirte das Geschäft, in  welchem er thätig war, und 1881 kehrte er nach Hamburg heim, um – ausgewiesen zu werden.

Abermals in Moskau bis 1887 in verschiedenen wechselnden Stellungen, oft recht unerfreulichen und wenig günstigen, lebend, war er von der dortigen deutschen Kolonie mit scheelen Augen betrachtet, da seine Ausweisung bekannt geworden war. Als Reisender für eine deutsche Fabrik, die in Moskau ihre Niederlage hatte, lernte er Rußland vom äußersten Süden bis zum Norden kennen; er sah Odessa, Sewastopol, den Kaukasus, Baku, Tiflis, Wologda u.s.w., und lernte die russische Sprache gründlich. Aber auch dieses Geschäft liquidirte, und durch Vermittlung des deutschen Konsuls in Moskau wurde die Ausweisung Audorf’s zurückgenommen. Er kehrte nach Hamburg zurück, widmete sich von da ab nur journalistischer und literarischer Thätigkeit und führt mit seinem Weibe, einer National-Russin, ein glückliches Familienleben.

Audorf hat zweimal im Wahlkreise Lennep-Mettmann für den Reichstag kandidirt, und einmal kam er in die Stichwahl, ohne zu siegen. Die einzige Art von Volksliedern, welche beim Stande unserer derzeitigen Verhältnisse möglich scheint, ist ihm vortrefflich gelungen. Er hat aus den Empfindungen seiner Arbeits- und Gesinnungsgenossen heraus „freiweg“ gesungen, was die Arbeiterschaft Deutschlands bewegt. Seine Dichtungen sind für die Seelenzustände seiner „Klasse“ wichtiger wie die Ibseniden Hauptmann, Holz, Schlaf und Konsorten, weil seine Lieder auch wirkliche Volkslieder sind. Doch haben natürlich die mannigfaltigen bildungs- und Kunst-Elemente der deutschen, der französischen und russischen Literatur, sowie Audorf’s Reisen und Weltkenntniß auch Spuren in seinen Liedern hinterlassen.

Am bekanntesten war im Volke der deutschen Arbeiter nach der Arbeiter-Marseillaise das „Lied der Petroleure.“ Wer kennte sie nicht, die nichtswürdige Versailler Fabel von den Petroleusen der Pariser Kommune, welche Lissagaray und andere, nicht ver“scherr“te, nicht reaktionär-professorale Historiographen des „rothen Quartals“ überzeugend ins Reich der Tendenzmythen verwiesen haben? Wer erinnerte sich nicht jenes Prozesses aus den mittleren siebziger Jahren, bei dem Pariser Großindustrielle überwiesen wurden, ihre Baulichkeiten mit Petroleum getränkt und in Brand gesteckt zu haben, um – nun, um die riesige Versicherungsprämie einzustreichen, weil die Schuld der Brandstiftung auf Rechnung der „Petroleure der Kommune“ geschrieben werden sollte?

Und als Bebel im deutschen Reichstag jederlei Verleumdung der Art gegen die Kommunards ablehnte, ja, da war das Stichwort gegen die deutschen Sozialdemokraten gegeben: sie sind die Petroleure Deutschlands! Zunächst freilich war das und ist das heute noch Zukunftsmusik, die wahrscheinlich und hoffentlich nie aufgespielt werden wird! Ein Wuthschrei aber ingrimmiger Entrüstung erscholl aus der Brust des deutschen Proletariats – – – und doch wird heute noch ihm hie und da diese verlogenste und brutalste aller Beleidigungen ins Gesicht geschleudert.

Wie die niederländischen Geusen und Käsebröter sich den Scheltnamen als Ehren- und Parteinamen beilegten, mit derselben großartigen Ironie, - die aber gar nichts mit der romantischen Ironie gemein hat! – nahm Audorf die Herausforderung an, und soweit die deutsche Zunge sozialdemokratisch klingt, ertönt sein Streit- und Zornlied:

Wir sind die Petroleure,
Das weiß ja Jedermann.

Der volksthümliche Leuchtstoff, der nach Majoritätsbeschluß des Reichstags auch höherem Zoll unterworfen ward, wird zum Symbol der politischen Aufklärung! In diesem Sinne heißt es:

Schon brennt es in den Städten
So licht und frank und frei;
Man spürt, daß es von Nöthen
Auch auf den Dörfern sei …
Und sperrt der Bruder Staatsanwalt
Auch einmal einen ein,
Kriegt’s Petroleum (so!) mehr Gehalt
Und brennt noch ’mal so rein …

…Wir kümmern uns den Kukuk um
Die Liberalerei:
Das Wahlrecht und Petroleum
Ist unser Feldgeschrei!
Hier Petroleum, da Petroleum
Petroleum um und um,
Laßt die Humpen frisch voll pumpen:
Dreimal Hoch Petroleum!

Jakob Audorf 3 >